Biblischer Impuls

Jahreslosung des Bibelheims 2022

Aber der Herr ist mein Schutz, mein Gott ist der Hort meiner Zuversicht. Psalm 94,22

Welch ein wunderschönes und ermutigendes Bibelwort ist uns 2022 als Losung für das Bibelheim geschenkt! Es tut einfach der Seele gut. Ein Psalmwort! Ich liebe Psalmen. Sie sind so ehrlich geschrieben. Sie gehen in die Tiefe. Sie helfen zum Beten. Die Psalmen sind ein kostbarer Gebetsschatz. Calvin und Luther, die beiden Reformatoren, laden uns ein, dass wir uns reichlich aus diesem Schatz bedienen. Ich tue es gerne. Welche Psalmen und Verse nehmen Sie zum Beten? Psalm 23, 27, 103 oder 121? In vielen Gesangbüchern sind sie abgedruckt. Psalm 94 gehört nicht dazu. Wenn man den ganzen Psalm liest, ist es vielleicht verständlich. Da ist von Feinden die Rede, vom Wunsch nach Rache und Vergeltung. Ist es statthaft, als Christ so etwas zu sagen? Gottes Gericht über andere Menschen auszurufen? Solche Gebete haben im AT mit dem strafenden Gott ihren Platz. Aber mit dem Gott der Liebe im NT ist das nicht vereinbar.

Vorsicht! Auch im NT ist davon die Rede, z. B. in Off. 6,10, da steht die Bitte um Gottes rächendes Eingreifen. Auch Jesus spricht an vielen Stellen von Gericht, sogar von Heulen und Zähneklappern. Ist Gott im Neuen Testament wirklich so harmlos? Und ist es uns Christen untersagt, Gefühle wie Wut, Empörung oder gar Rachewünsche vor Gott zu äussern? Kennen Sie persönlich nicht auch solche Gedanken? Haben Sie nie solche Gefühle? Ich kenne das gerade aus Situationen, wo ich zutiefst von Menschen verletzt und hintergangen wurde. Muss ich vor Gott verschweigen, was meine innersten Regungen sind? Und was machen Menschen, die unschuldig gequält, ausgegrenzt und weggesperrt werden, z. B. in Nordkorea, China oder in islamischen Ländern? Wie viele Machthaber denken wie in Psalm 94,7: «Der Herr sieht`s nicht.» Das Unrecht in vielen Ländern ist spürbar und sichtbar. Müssen Menschen davor die Augen verschliessen und schweigen?

Dieser Psalm macht deutlich: Nein, es darf und muss vor Gott zur Sprache gebracht werden – ungeschönt und authentisch. Der Schmerz, die Wut über das Unrecht dürfen sein vor Gott. Dazu werden wir durch diesen Psalm ermutigt. Alle Regungen unseres Herzens gehören in unser Gespräch mit Gott. Aber wir dürfen und können die Rache und Sühne des Unrechts Gott überlassen. Gott ist der gerechte Richter. Er drückt nicht einfach ein Auge zu, sondern er wird eines Tages nach Gesetz und Recht barmherzig urteilen. Darauf ist Verlass.

Vertrauen kommt in diesem Psalm auch zum Ausdruck: Gott wird das Richtige tun. Wer das weiss, muss nicht eigenmächtig eingreifen und die Rache selbst in die Hand nehmen. Der kann sich darauf verlassen: Gott hört und vergilt.

Wer sich Gott gegenüber im Vertrauen alles von der Seele redet, der wird mit dem Psalmisten beten können: «Aber der Herr ist mein Schutz, mein Gott ist der Hort meiner Zuversicht.» Der Beter stellt der Situation ein klares und eindeutiges Aber entgegen. Er lässt sich von dem Unrecht, von seiner Wut nicht bestimmen. Er kommt zum persönlichen Bekenntnis: Gott ist mein Schutz. Der Psalmist hält uns einen Spiegel vor und fragt uns: Wer ist denn Gott für dich? Man kann viel Allgemeines über Gott austauschen. Man kann Wahrheiten über Gott sagen: Er ist gross. Er ist mächtig. Er ist allwissend. Er ist wunderbar ... Allgemeine Wahrheiten werden unser Leben nicht verändern.

Die entscheidende Frage ist: Wer ist der Gott der Bibel für mich? Habe ich darauf eine eigenständige, persönliche Antwort? Der Schreiber dieses Psalms sagt: Der Herr ist mein Schutz. Er schützt mich wie eine sichere Burg. Das ist ein getrostes, klares Bekenntnis, Das drückt aus, was er bei Gott findet: Schutz, Geborgenheit. Wann brauchen wir Schutz? Wenn es ordentlich regnet, suchen wir Schutz unter einem Schirm. Bei Sturm brauchen wir Schutz, damit kein Gegenstand auf uns fällt. Wir suchen einen festen Unterstand, wo wir uns sicher wissen. Wenn uns ein Hund angreift und seine Zähne zeigt, dann flüchten wir hinter eine Tür. Der Psalmist hat Schutz gebraucht und gesucht. Über einen längeren, inneren Weg findet er diesen schliesslich bei Gott, indem er es einfach ausprobiert. Man kann nicht aus der Ferne erfahren, ob Gott Schutz ist.

Und ob eine Hütte Zuflucht bietet, kann man nicht erfahren, indem man darüber nachdenkt, sich theoretisch fragt oder analysiert: Hält das Gebäude dem Sturm stand? Hält es, wenn ein dicker Ast herabfällt? Man kann es nur erfahren, wenn man hineingeht, es ausprobiert. Ja, es hält. Ja, es bietet Schutz. Ja, ich bin sicher.

Gott lädt uns im Jahr 2022 ein: Komm zu mir. Nimm Zuflucht zu mir. Suche Schutz durch ein Gebet: «Ja, ich habe Angst. Ich will in deiner Nähe sein. Berge mich und hülle mich ein in deinen Frieden.» Suchen Sie Schutz durch ein Bibelwort, z. B. die Jahreslosung 2022: «Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Das will ich jetzt erfahren, Herr, dass Du mich bei Dir aufnimmst. Darum bitte ich Dich.» Und ich bin gewiss: Wer so zu ihm kommt, wird Gottes Nähe und Frieden erfahren. Da werden sich die äusseren Umstände nicht ändern, aber wir werden mit Eva von Thiele-Winkler sagen können: «Friede ist nicht die Abwesenheit allen Kampfes, sondern die Anwesenheit Gottes.»

Jürgen Gatter, Pastor und Gesamtleiter

 

Bilder: pixabay / Titelbild: U.Bodnar, 1. Bild: N. Barts

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